Bedeutung der neuen EU-Nachhaltigkeits­standards für den Mittelstand

Dr. Heinrich Ganseforth

21. November 2022

Die neue Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU

Durch eine neue strengere und verbindliche Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU wird die derzeitige Richtlinie zur nichtfinanziellen Berichterstattung (NFRD) abgelöst. In Zukunft müssen alle großen Unternehmen in ihren jährlichen Geschäftsberichten gleichrangig neben den finanziell relevanten Unternehmenskennzahlen über die Nachhaltigkeit ihrer Geschäftspolitik berichten. Nachhaltigkeit wird damit verbindlicher Bestandteil der Geschäftspolitik großer Unternehmen. Die CSRD erstreckt sich auf die Themenbereiche Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (Environment, Social, Governance, (ESG)). 

Der Anwendungsbereich der gesetzlichen Regelungen wird deutlich erweitert auf nicht kapitalorientierte große Unternehmen, die zwei der drei folgenden Kriterien erfüllen: Bilanzsumme höher als 20 Millionen €, Nettoumsatzerlöse höher als 40 Millionen € oder Zahl der Beschäftigten höher als 250. Dadurch erhöht sich die Zahl der berichtspflichtigen Unternehmen allein in Deutschland von derzeit 550 auf zukünftig rund 15.000 Unternehmen.  

Die Bedeutung für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) als Lieferanten und Dienstleister

Für die Geschäftstätigkeit aller Unternehmen im Anwendungsbereich der CSRD gelten zukünftig verbindliche Nachhaltigkeitsstandards mit entsprechenden Auswirkungen auf Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsbeziehungen einschließlich Lieferketten. Unmittelbar betroffen sind deshalb alle KMU, die im Rahmen der Wertschöpfungskette als Lieferanten und Dienstleister für große Unternehmen tätig sind oder tätig werden wollen. Mittelbar betroffen ist auch der übrige Mittelstand, weil sich Nachhaltigkeit als wichtiges Entscheidungskriterium insbesondere für Kunden, Arbeitnehmer, Investoren und Banken zunehmend durchsetzen wird.

Welche ESG-Anforderungen sind für KMU zu erwarten

KMU fallen nicht unter die CSRD-Richtlinie und sollen durch Schutzvorschriften rechtlich vor übermäßigen Nachhaltigkeitsanforderungen der Großunternehmen und Konzerne geschützt werden. Für betroffene KMU sollen deshalb in der Richtlinie Orientierungshilfen, vereinfachte Anforderungen an den Berichtsstandard und andere Instrumente vorgesehen werden, um Nachhaltigkeitsaktivitäten schrittweise in ihre Geschäftstätigkeit zu integrieren.

In diesem Zusammenhang wird im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich darauf hingewiesen, dass anerkannte nationale und internationale Rahmenwerke als Grundlage eigener Nachhaltigkeitsaktivitäten genutzt werden können, z.B. Global Reporting Initiative (GRI), Deutscher Nachhaltigkeitskodex (DNK), OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, UN Global Compact und DIN ISO 26000 Leitfaden zur gesellschaftlichen Verantwortung.

Wie können sich KMU auf die von ihnen erwarteten ESG-Anforderungen vorbereiten

KMU sollten zunächst klären, ob und zu welchen berichtspflichtigen Großunternehmen Geschäftskontakte bestehen oder ob entsprechende Geschäftskontakte entwickelt werden sollen. Dann sollten die für diese Geschäftskontakte relevanten ESG-Themen geklärt werden, um die eigene CSR-Strategie daran auszurichten.  

KMU, die Managementstandards wie ISO14001 und EMAS (Umwelt) oder SA8000 (Soziales) anwenden, können in diesen Sektoren auf die entsprechenden Ergebnisse verweisen. Sie müssen aber für die übrigen Themenbereiche – soweit sie für ihre Geschäftstätigkeit relevant sind – zusätzliche Nachhaltigkeitsanforderungen erfüllen.

Der internationale CSR-Standard DIN ISO 26000 Leitfaden zur gesellschaftlichen Verantwortung bietet für alle ESG-Themen und für jede Art von Unternehmen, unabhängig von Branche, Größe und Standort, eine gesicherte inhaltliche Basis. Die DIN ISO 26000 ist das Ergebnis eines breiten internationalen Normungsprozesses zur gesellschaftlichen Verantwortung in Bezug auf Ökonomie, Ökologie, Menschenrechte, Sozialstandards und Unternehmensführung.

Dieser Standard ist für KMU besonders geeignet, weil die Norm darauf ausgerichtet ist, Nachhaltigkeit praktisch, einfach und kosteneffizient zu integrieren. Das Coaching- und Consulting-Unternehmen Strategy & Marketing Institute GmbH bietet mit sustaincert26000®basic ein Self-Assessment-Verfahren an, mit dem Unternehmen ihre CSR-Ziele dokumentieren und den aktuellen Stand der Umsetzung dieser Ziele nachweisen können. Das Zertifikat sustaincert26000®basic bescheinigt dem Unternehmen die Ausrichtung seiner Geschäftspolitik entsprechend den Grundsätzen der DIN ISO 26000.

Welcher Zeithorizont sollte für den CSR-Nachweis von KMU beachtet werden

Um rechtzeitig vor Geltung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) ab 2024 die eigenen ESG-Aktivitäten nachweisen zu können, ist es empfehlenswert, jetzt die Voraussetzungen zu schaffen, insbesondere Ziele zu definieren, eigene CSR-Kompetenzen zu fördern, Ressourcen einzuplanen und Meilensteine mit Verantwortlichkeiten für geeignete Maßnahmen festzulegen. Für diesen Prozess sollte hinreichend Zeit zur Verfügung stehen, um im Laufe des Jahres 2023 ein positives Ergebnis vorzeigen zu können und mit einem kontinuierlichen ESG-Verbesserungsprozess zu starten.

Wie ist der Stand des Gesetzgebungsverfahrens

Am 21.6.2022 haben der Rat der Europäischen Union und das europäische Parlament eine politische Einigung zur Überarbeitung der gesetzlichen Vorgaben zur CSR-Berichterstattung erzielt. Durch die neue Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) sollen ab 2024 die bis dahin von der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) entwickelten European Sustainability Reporting Standards (ESRS) verbindlich festgelegt werden. 

Alle relevanten Unternehmensinformationen einschließlich der Angaben zu Nachhaltigkeitsaktivitäten müssen dann als Teil des Geschäftsberichts großer Unternehmen offengelegt und in einem digitalen, maschinenlesbaren Format veröffentlicht und zugänglich gemacht werden. Damit erhält Nachhaltigkeit als strategisches Element der Geschäftstätigkeiten dieselbe Plattform wie die finanzielle Berichterstattung.

Welche Themenbereiche der Geschäftstätigkeit werden von der Berichtspflicht erfasst

Der neue Richtlinienvorschlag der EU-Kommission erstreckt sich auf die Themenbereiche Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (Environment, Social, Governance, (ESG)). Die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) ist beauftragt, zu jedem der nachfolgenden ESG-Themenbereiche den detaillierten Berichtsstandard zu erarbeiten.

E

Environment

Umwelt

Klimaschutz, Klimawandel, Wasser- und Meeresressourcen, Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft, Umweltverschmutzung, biologische Vielfalt und Ökosystem

S

Social

Soziales

Eigene Belegschaft, Beschäftigte in der Wertschöpfungskette, Betroffene Communities, Verbraucher und Endbenutzer

G

Governance

Unternehmensführung

Grundsätze der Unternehmensführung, Risikomanagement, interne Kontrolle, Geschäftspraktiken

Das Prinzip der doppelten Wesentlichkeit

Für die ESG-Berichtspflicht gilt das Prinzip der doppelten Wesentlichkeit (double materiality). D.h. die Unternehmen müssen die Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit im Lagebericht unter zwei gleichgewichtigen Dimensionen darstellen, nämlich:

  • Auswirkungen der eigenen Geschäftstätigkeit (Inside-out-Perspektive, impact materiality): Welche Auswirkungen haben die Geschäftsaktivitäten, Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsbeziehungen (einschließlich Lieferketten) auf Klima, Umwelt-Ressourcen und Menschen.
  • Auswirkungen externer Entwicklungen auf die eigene ökomische Aktivität (Outside-in-Perspektive, financial materiality): Welche Auswirkungen und Risiken haben Klimawandel, Umwelt und gesellschaftliche und soziale Entwicklungen auf Geschäftsmodell, Strategie und Umsatz des Unternehmens.

Derzeit sind nach der NFRD die Auswirkungen der eigenen Geschäftstätigkeit (Inside-out-Perspektive) nur relevant, wenn sie auch für das Unternehmen selbst, also dessen Geschäftsmodell, Strategie und Umsatz (Outside-in-Perspektive) relevant sind.

Zukünftig sind nach der CSRD die Auswirkungen der Geschäftsaktivitäten auf Klima, Umwelt-Ressourcen und Menschen auch dann relevant, wenn das Unternehmen in der Outside-in-Perspektive dadurch keine Auswirkungen und Risiken erwartet.

Damit werden Unternehmen durch die neue Richtlinie EU-weit verpflichtet, auch über nicht-finanzielle ESG-Auswirkungen ihres Handelns, ihrer Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsbeziehungen zu berichten. Neu hinzu kommen Berichtspflichten zur Unternehmensstrategie; so sollen die Unternehmen angeben, wie resilient ihre Unternehmensstrategie bei einem starken Klimawandel und bei einer wirkungsvollen Klimaschutzpolitik ist.

Die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) im Compliance-Management

Durch die CSRD i.V.m. den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) werden Nachhaltigkeitsmaßnahmen zu einer gesetzlichen Verpflichtung für große Unternehmen und Konzerne. Im ESG-Themenfeld Governance bedeutet das: Die ökologische und soziale Verantwortung muss ins Geschäftsmodell integriert und aktiv gesteuert werden. Auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Unternehmensführung ist eine dauerhafte Verantwortung für die Auswirkungen des Unternehmens auf Mensch und Umwelt. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, muss Nachhaltigkeit Bestandteil des Compliance-Managements sein, um sicherzustellen, dass sich Aufsicht, Unternehmensleitung und Mitarbeiter regelkonform verhalten. Abweichungen, Fehler und Risiken müssen aufgedeckt und abgestellt werden. Dabei geht es auch um den ökonomischen Nutzen, nämlich den Wettbewerbsvorteil zu sichern, der mit einem auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Geschäftsmodell verbunden ist.